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Zielvisualisierung im Trailrunning

Interview mit Michele Ufer - Sportpsychologe & Extremläufer.

Micheles Strategie, für höchst anspruchsvolle Läufe setzt nicht etwa am maximal-intensiven Training der persönlichen körperlichen Fitness an. Sondern rückt das Training des eigenen starken Willens, der ganz persönlichen Motivation in den Vordergrund! Wie das geht, beschreibt Michele Ufer in seinem neuen Buch „Mentaltraining für Läufer- Weil Laufen auch Kopfsache ist“ (19,95 Euro, mehr Infos auf Micheles Webseite ).
SportScheck:

Michele, gezieltes Lauftraining bedeutet für die meisten Läufer, einem strengen Laufplan zu folgen. Du legst den Schwerpunkt anders und sagst, Laufen ist hauptsächlich Kopfsache! Gib uns doch mal ein Beispiel dafür.
Michele: 

Natürlich braucht es immer auch die körperlichen Voraussetzungen, um bei Events oder Wettkämpfen erfolgversprechend zu starten und zu finishen. Die Entwicklung der körperlichen Fitness kann man mit rigiden Trainingsplänen angehen. Es geht in meinen Augen aber oft auch entspannter und freudvoller. In diesem Zusammenhang spricht man auch vom Trainingsweltmeister: theoretisch top, aber im entscheidenden Moment ein Flopp
Michell Ufer hebt nach dem geschafften Trail den Daumen.
Bei aller Fitness entscheidet letztendlich der Kopf darüber, ob ich meine Potenziale auch wirklich abrufen kann und meine Ziel erreiche oder eben nicht. Wer das Mentale beim Training bzw. der Leistungsentwicklung nicht berücksichtigt, der trainiert nur einen Teil seiner Selbst und verschenkt Möglichkeiten, vielleicht sogar die entscheidenden.

SportScheck:

Unterschätzen die meisten Sportler also die psychische Komponente? Woher kommt das?

Michele: 

Eigentlich ist allen klar, dass immer auch der Kopf mitläuft und mitentscheidet. Motivation, Einstellung, Selbstvertrauen, Willenskraft usw. sind Schlagwörter, die permanent fallen und sehr präsent sind. Wie man psychologische Fähigkeiten trainieren und verbessern kann, ist vielen hingegen weniger klar.

Manche halten Psychologie vielleicht aus Unkenntnis für „Wischiwaschi-Kram“. Deshalb wird dieses Thema oft stiefmütterlich behandelt oder reduziert sich auf allgemeine Floskeln und oberflächliche Tipps, die selten nachhaltig wirken.

SportScheck:

Mentales Training – wie geht das? Gibt es dafür auch einen universellen „mentalen Laufplan“?
Michele: 

Würden Sie einem Laufanfänger und einem erfahrenen 100km Ultratrail-Läufer die gleichen Dinge „beibringen“ wollen? Wahrscheinlich nicht. Beim mentalen Training ist das genauso. Es geht um die individuelle Entwicklung psychologischer Fähigkeiten und „mentaler Stärken“. Das Ziel: die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass im entscheidenden Moment die eigenen Potenziale wirklich abgerufen werden können.
SportScheck:

Wie setze ich mir bei Trailrunning realistische Ziele und steigere meine Leistung, um das scheinbar Unmöglicher erreichen?

Michele

Vielleicht muss es gar nicht sein, seine Leistung immer weiter zu steigern?! Ansonsten ist das Setzen von Zielen umso treffsicherer, je mehr ich mir über mich selbst, meine wahren Bedürfnisse, familiären und beruflichen Anforderungen, Lebenspläne, Leistungsmöglichkeiten etc. im Klaren bin. Zielsetzungsprozesse sind immer auch ein Stück Versuch und Irrtum.

SportScheck:

Und woher weiß ich, wo meine persönlichen Grenzen liegen?

Michele

Das ist relativ und hängt auch von meinen Zielen ab. Bin ich bereit, bleibende gesundheitliche Schäden für kurzfristige Erfolge in Kauf zu nehmen? Das  ist etwas anderes, als wenn bei mir eine gesunde Leistungsentwicklung und allgemeine Gesundheit an oberster Stelle stehen und ich bei aller Grenzerfahrung und situativen Unannehmlichkeiten immer auch auf meinen Körper hören kann, wenn er sagt „Stop!“.

Dieses Hören auf den eigenen Körper, nennen wir es Selbstbewusstsein, scheint manchen Menschen abhanden gekommen zu sein. Dieses Gefühl für das rechte Maß an Belastung und Beanspruchung kann man aber (wieder) erlernen. Das gilt übrigens nicht nur für den Laufsport. Oft übersehen Menschen im Beruf Warnsignale und powern sich mehr aus, als es langfristig gesund ist.

SportScheck:

Wenn man die eigenen sportlichen Ziele zu hoch steckt oder unter dem Druck steht, sich immer weiter selbst zu optimieren, entsteht dann nicht Frust?

Michele: 

Wer sagt denn, dass man sich immer weiter optimieren muss? Zugegeben übertragen viele Hobbyläufer das unserer Gesellschaft zugrundeliegende Leistungsdenken auch auf den Freizeit-Sport, obwohl das gar nicht unbedingt nötig ist.

Ansonsten gehören Misserfolg und Frustration bei Nichterreichen von Zielen auch zum Leben. Das kann man bei gesunder Psyche in der Regel ganz gut verkraften und daraus sogar meist noch wertvolle Dinge lernen.

SportScheck:

Ultraläufe sind ja irre anstrengend und fordernd für Körper und Psyche. Raus aus der Comfort Zone, durch den Schmerz und die total Erschöpfung läufst du aber weiter, zum Erfolg. Wie schaffst du es, dabei durchzuhalten?
Michele

Strategien müssen individuell sein. Ich persönlich setze mich intensiv zu Beginn mit meinen Zielen und Werten auseinander. Erst wenn ich voll und ganz angefunkt bin, starte ich in ein Projekt. 

Das ist ein sehr individueller Prozess und was bei mir gut funktioniert, hilft einem anderen Läufer womöglich nicht in gleicher Weise. Motivationsprobleme sollte man als Warnsignal und Ausgangspunkt nutzen, um Ziele und die Herangehensweise zur Erreichung der Ziele zu überdenken und so anzupassen, dass man eben keine Motivationsprobleme mehr hat

Ich erschaffe mir eine extrem anziehende „Erinnerung an eine erfolgreiche Zukunft“. Der Einsatz zieldienlicher Visualisierungen, hilfreiche Techniken zur Steuerung von Selbstgesprächen, Gefühlen und Gedanken gehören zu meinem Set an hilfreichen Strategien für schwierige Momente.
SportScheck:

Michele, du liebst ja offenbar die Extreme und Grenzerfahrungen. Was reizt dich denn ganz persönlich daran? Und schlummert der Wunsch, Extreme zu bezwingen, in jedem Menschen?
Michele

Mich persönlich interessieren das Reisen, Entdecken, Abenteuer und das intensive Spüren des eigenen Körpers sowie die Frage „Kann ich das schaffen?“. Das braucht sicher nicht jeder Mensch. Wahrscheinlich bin ich ein typisches Beispiel für einen sogenannten Sensation-Seeker, das sind Menschen, die aufgrund ihrer Hirnphysiologie ein gewisses Mehr an Stimulation bzw. intensiven Reizen benötigen, um sich wohl zu fühlen.
SportScheck:

Vielen Dank für das Interview, Michele!
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